In Hamburg hat sich eine umfassende Allianz gegen die elektronische Gesundheitskarte (eGK) formiert und vor deren Einführung gewarnt. Da ein Missbrauch der Daten nicht auszuschließen sei, müsse die geplante elektronische Vernetzung gestoppt werden, forderten heute in einer gemeinsamen Erklärung, die KV Hamburg, die KZV Hamburg, die Zahnärztekammer Hamburg, die Apothekerkammer Hamburg, das Aktionsbündnis „Stoppt die eCard“, das Forum Patientenvertretung in Hamburg und die Selbsthilfegruppe Fibromyalgie abgegeben haben.
„Gegen dieses Projekt zu sein, bedeutet nicht, auch gegen den Fortschritt zu sein“, erklärte Dieter Bollmann, Vorstandsvorsitzender der KV Hamburg. Vernetzung und ein gutes EDV-System seien für Ärzte wichtig und unverzichtbar. Die eGK aber sei mit einer riesigen Sammlung von Daten verbunden, die Begehrlichkeiten wecken werde. Daher sei auch das Argument der gematik nicht stichhaltig, die eGK sei gegenüber den derzeit wachsenden kleinen regionalen Ärztenetzwerken ein Fortschritt in den Sicherheitsstandards. „Wenn Ärzte ein lokales Netzwerk aufbauen, dann gucken sie genau hin, wie sie sich vernetzen und wer an die Daten herankommt. Es sind Arzt-zu-Arzt-Verbindungen, die die Daten nicht exportieren beispielsweise zu den Kassen, wie das System der eGK“, erklärte Bollmann.
„Die Bürger in unserem Land wollen nicht, dass ihre Krankheitsdaten außerhalb der Arztpraxis ihres Vertrauens gespeichert werden“, sagte die Sprecherin des Bündnisses Aktion „Stoppt die e-Card“, Dr. Silke Lüder. Das würden die über 350.000 gesammelten Unterschriften gegen die Einführung zeigen. Mit Patientendaten auf Zentralrechnern werde der „gläserene Patient“ Realität. Möglicherweise sei das geplante System nach dem Stand der Technik maximal sicher. „Aber an der Schnittstelle sitzt ein Mensch.“ Die Datenschutzbehörden seien heute schon überfordert. Die Ärzte bekämen von den Kassen regelmäßig Zettel auf den Tisch, in denen sie alles Mögliche über die Patienten angeben sollten, was die Kassen gar nicht wissen dürften. Und letztlich hänge der Datenschutz vom politischen Willen ab: „Wer schützt uns vor geänderten Zugriffsrechten in Zukunft durch einfache Gesetzesänderung?“, fragte Lüder.
Der Präsident der Apothekerkammer Hamburg, Rainer Töbing, warnte eindringlich vor ungeklärten technischen Schwierigkeiten und forderte, den Rollout zu verschieben. „Die Feldversuche laufen nicht. In Löbau-Zittau muss jeden dritten Tag ein Techniker kommen, weil die Lesegeräte nicht gehen.“ Aber auch grundsätzliche Probleme seien überhaupt nicht geklärt, warnte Töbing. Das Auslesen eines Medikamentes daure ca. 30 Sekunden. „Und bei acht Medikamenten ist bereits die Speichergrenze der Karte erreicht. Patienten, die viele Medikamente nehmen müssen, brauchen dann mehrere Karten und PINs. Das kann nichts werden.“ Diese Vielzahl von Arbeitsschritten mache die Karte für die Praxis absolut untauglich. „Ich weiß nicht, wo das hinführen soll. Wie viel Kassen soll man denn in einer Apotheke aufmachen?"
Die Hamburger Zahnärzte seien wegen der Vertraulichkeit medizinischer Daten gegen die elektronische Gesundheitskarte und weil die Technik und die Software noch lange nicht ausgereift sei, erklärte der Vorstandsvorsitzende der Kassenzahnärztlichen Vereinigung, Dr. Eric Banthien. „Wir werden in Zukunft nicht mehr vorrangig Zähne behandeln, sondern mit dem Heilberufsausweis vorne in der Praxis am Lesegerät stehen.“ Wenn alte Menschen dann mit der Karte auch noch die PIN auf einem Zettel abgäben, sei die Sicherheit sowieso weg. „Missbrauch kann auch innerhalb einer Praxis passieren“, warnte Banthien. Gänzlich absurd sei die Karte im Falle von potenziellen Organspendern. Der Arzt dürfe diese Informationen nicht haben, solange der Patient nicht gestorben sei und als Spender in Frage komme. Wenn diese Informationen nun bei den Notfalldaten auf der Karte seien, müsste sich der Arzt von dem Toten die PIN sagen lassen, um heran zu kommen.
„Uns ist aufgefallen, dass die Befürworter des Projekt immer von der Karte reden“, stellte Christoph Kranich von der Verbraucherzentrale Hamburg stellvertretend für das Forum Patientenvertretung fest. „Das Problem sind aber die Server, die gar nicht genannt werden. Das ist irreführend. Es hat eine völlig neue Qualität, wenn die Daten nicht mehr in der Praxis liegen, sondern zentral.“ Ein Gutachten, das die gematik selbst beauftragt aber nicht abgenommen habe, sei zu dem Schluss gekommen, dass der größte Nutzen des neuen Systems in den freiwilligen Anwendungen liege. „Wenn es stimmt, werden sie uns diese Anwendungen demnächst schmackhaft zu machen versuchen. Und wenn sie nicht genug Patienten nutzen, dann wird es zur Pflicht werden“, warnte Kranich.
Die Patientengruppe Fibromyalgie machte darauf aufmerksam, dass mit der Begründung, Doppeluntersuchungen vermeiden zu wollen, im neuen System Diagnoseverfahren eingeschränkt und Therapie- und Behandlungsverfahren minimiert werden könnten. Bei Krankheiten wie der Fibromylagie brauche es mitunter Jahre bis zur Diagnose, sagte Gabi Thiess. Ein Anstieg von unerkannten Krankheiten sei wahrscheinlich. Außerdem sei es für die Kassen mit er eGK künftig leichter, teure Patienten ausfindig zu machen und abzulehnen.