aus: Frankfurter
Rundschau; Samstag, 22.07.2017
„Dr. Hontschiks Diagnose“
Es könnte so einfach sein, wenn es bloß um gute Medizin
ginge. Aber das Projekt will und will nicht in Gang kommen. Einige Milliarden
Euro sind schon versenkt worden, und immer noch klappt rein gar nichts. Sie
sollte 2006 eingeführt werden, ein zweistelliger Millionenbetrag war dafür geplant.
Elf Jahre später, drei bis vier Milliarden Euro sind inzwischen ausgegeben,
verkündet das Bundesgesundheitsministerium schon wieder, dass der erste Schritt
zur Einführung der elektronischen Gesundheitskarte, das sogenannte „Versichertenstammdatenmanagement“,
erneut verschoben werden muss. Es stünden die technischen Geräte noch nicht in
ausreichender Zahl zur Verfügung.
Die Elbphilharmonie hat nicht 70, sondern um die 700
Millionen Euro gekostet, die Bauzeit wurde gewaltig überschritten, aber jetzt
kann man dort wenigstens grandiose Konzerte hören. Dafür ist sie ja gebaut worden.
Am Berliner Flughafen wird schon seit elf Jahren gebaut, er kostet eine
Milliarde nach der anderen, aber eines Tages werden dort Flugzeuge starten und
landen, das steht fest. Dafür wird er ja schließlich gebaut. Aber was ist mit
der elektronischen Gesundheitskarte? Wofür wird die gebraucht?
Wenn man etwas verschleiern will, muss
man unverständliche Worte benutzen. Ein solches Wort ist „Versichertenstammdatenmanagement“.
Gemeint ist eine Online-Verbindung zwischen Arztpraxis und Krankenkasse. Bei
jedem Arzttermin wird in Zukunft überprüft, ob mit der Krankenversicherung
alles in Ordnung ist. Dem Missbrauch soll vorgebeugt werden, heißt es. Jede
Arztpraxis wird dadurch sozusagen zu einer Außenstelle der Krankenkasse. Die
Krankenkasse weiß auf die Minute und Sekunde genau, wann wer wo in welcher
Arztpraxis war.
Wie gesagt: Es könnte so einfach sein,
wenn es nur um gute Medizin ginge. Dann hätten wir alle längst zusammen mit
unserem Hausarzt alle gesundheitsrelevanten Daten auf unserer Chipkarte
gespeichert. Darauf könnte man im Notfall zugreifen, man könnte schädliche Medikamenten-Inter-aktionen
erkennen und Ärzte und Krankenhäuser könnten untereinander auf kurzem Weg
digital kommunizieren. Das nennt man ein Netzwerk, innerhalb dessen mit
strengsten Zugangsregelungen point-to-point-Kommunikation ermöglicht wird.
Da es aber gar nicht wirklich um Ihre
Gesundheit geht, sondern um gewaltige Investitionen und Gewinne für die Hard-
und Softwareindustrie, wird statt eines Netzwerkes und seit mehr als elf Jahren
die Speicherung unser aller Gesundheitsdaten in zentralen Riesenservern
geplant. Damit werden nicht nur alle tiefgreifenden Veränderungen und
Fortschritte der digitalen Kommunikation in den letzten elf Jahren ignoriert,
auch die Gefahren, die zentrale Server in ihrer Anfälligkeit für Hacker und
andere Kriminelle bieten, werden ausgeblendet. Gerade sind 200.000 komplette
Adressdaten der Post frei lesbar im Netz gelandet, gerade ist das Buchungsnetz
der Deutschen Bahn außer Funktion gehackt worden, und gerade ist das britische
Gesundheitswesen nur knapp dem totalen Zusammenbruch entgangen, nachdem
Kriminelle mit einer sogenannten Ransomware, auch Erpressungstrojaner genannt,
in die zentralen Computer der Krankenhäuser eingebrochen waren.
Es geht nicht abstrakt um irgendeinen Datenschutz, sondern es geht um den
Schutz von Menschen, es geht um deren gesundheitliche Daten. Die derzeitigen
Planungen der elektronischen Gesundheitskarte, die gar nichts mit Gesundheit zu
tun hat, müssen endlich zu Grabe getragen werden.
Es könnte ja so einfach sein, wenn es
wirklich nur um gute Medizin ginge. Dann gäbe es keine zentralen Datenspeicher,
dann würde jede Patientin und jeder Patient immer und überall uneingeschränkt
selbst über alle Daten auf der individuellen Chipkarte bestimmen. Kein Hacker,
kein Erpresser hätte auch nur den Hauch einer Zugriffschance. Warum nur machen
wir das nicht so? Ist die Zugriffsmöglichkeit auf die zentral gespeicherten
Daten vielleicht heimlich erwünscht? ( Mit freundlicher Erlaubnis des Verfassers)
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