Im Anschluß an die Urteilsverkündung im eGK-Prozeß vor dem Sozialgericht fand in Düsseldorf die Pressekonferenz zum Prozeß zur eGK statt.
Veranstalter waren die Versichertenorganisation Neuanfang und die IPPNW.
Teilnehmer: Wolfgang Linder, Kommittee für Grundrechte und Demokratie; Silke Lüder, Bündnis "Stopp die eCard", Jan Kuhlmann, Rechtsanwalt des Versichertenklägers; Kathrin Vogler, MdB der Linken und Md Gesundheitsauschusses des Bundestags. Moderatorin: Elke Steven, Grundrechtekommittee.
Rechtsanwalt Jan Kuhlmann trug vor, dass es nach der Klageabweisung durch das SG Düsseldorf neben der Berufung, die zum LSG in Essen führe, auch die Möglichkeit der Sprungrevision direkt zum Bundesverfassungsgericht gebe, wenn die Gegenseite (hier die Krankenkasse des klagenden Versicherten) zustimme. Eine solche Zustimmung sei durchaus denkbar, da die Kasse, wie einige andere Kassen offenbar auch, selbst kein sonderliches Interesse an der eGK habe, sondern sich durch anhängige IT-und weitere Verpflichtungen in ihrer Autonomie möglicherweise eher behindert sieht. Schließlich seien die Kassen auch wider Willen durch die Gesetzgebung 2010 und 2011 verpflichtet worden, 10% bzw. dann 70% der Mitglieder mit der eGK auszustatten (wie Vogler später ergänzte).
Grundsätzlich kann nach Kuhlmann nur das BVerfG die Gesetzesgrundlagen der eGK ändern, so dass am Ende eine Verfassungsklage stehen muß.
Seine Argumentation vor Gericht beruhte
a) auf der Kritik an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelungen zur eGK besonders im Hinblick auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die informationelle Selbstbestimmung des Bürgers und
b) auf der Kritik an der Umsetzung des Projektes der eGK durch die gematik, die nicht mit den gesetzlichen Grundlagen kompatibel sei. Hier war seine Hauptkritik, dass eine "Freiwilligkeit" der Anwendungen, die das Gesetz zwar fordere, dennoch durch die Art der Umsetzung des Projekts faktisch ausgehebelt werde.
Weiter wies er darauf hin, dass gerade beim Umgang privater Firmen (die ja mit der Umsetzung des Projekts letztlich betraut werden sollen - pers. Anm. auch aus persönlichen Mitteilungen der Gematik-Vertreter) mit sensiblen privaten Daten eine für die Öffentlichkeit transparente Kontrolle des Umgangs mit den Daten, der Verarbeitung der Daten, des Datenschutzes und ein Sanktionssystem bei Verstößen bereits verfassungsrechtlich verpflichtend ist. Dies ergebe sich aus dem Urteil des BVerfG zur Vorratsdatenspeicherung. Von diesen Verpflichtungen stünde aber zur eGK nichts im Sozialgesetzbuch (§291 et al) - diese Pflichten würden schlicht nicht eingehalten!
Die Argumentation des LG Düsseldorf zur Klageabweisung beruhte nach seiner Aussage darauf, dass der Richter meinte, eine Pflicht zur Verwendung der eGK bestünde für den einzelnen GKV-Versicherten ja nicht; dieser könne ja die Karte verweigern und damit seine informationellen u.a. Rechte sichern.
Im Klartext: Der Richter wies darauf hin, dass der Bürger selbstverständlich von seinem Recht Gebrauch machen kann, keine Karte anzufordern oder zu akzeptieren oder zu verwenden, sondern sich von seiner Kasse ggfls. einen "Krankenschein" im Ersatzverfahren ausstellen zu lassen.
(Pers. Anm.: Ob es diese "Wahlfreiheit" für den Bürger tatsächlich praktisch gibt, wird weiterer Gegenstand des Verfahrens sein. Tatsächlich wird das Recht des Bürgers, auf die Karte zu verzichten, bereits von den Kassen regelmäßig durch Desinformation unterwandert).
Silke Lüder schilderte das bisherige eGK-Projekt als ein von Pleiten, Pech und Pannen gekennzeichnetes. Dem schloß sich später Frau Vogler von den Linken vorbehaltlos an. Lüder wies darauf hin, dass die Fotos für die Karten entgegen den EU-Datenschutzrichtlinien nicht authentifiziert seien und dass damit die im Gesetz (3. ÄndV zur eGK §291 SGB V) geforderten "höchsten Sicherheitsstandandards" bereits negiert werden. Der politische Richungswechsel der FDP wurde thematisiert, ebenso wie die IT-Lastigkeit und die ungeklärte Kostenfrage. Krankenkassen würden ihre Mitglieder, die sich regelmäßig mit Fragen auch an das Bündnis "Stopp die e-Card" wenden, fehlinformieren, wenn sie mitteilen, dass der Patient vom Arzt eine Rechnung erhalte, wenn er später keine eGK vorlege. Im Übrigen sei gerade zu diesem Thema, das Gegenstand des BMV-Ä ist, eine Änderungsinitiative in der KBV unterwegs. Die KBV-VV fordere auf Initiative von Brunngraber auch, sämtliche Elemente der eGK-Verpflichtungen zum Versichertenstammdaten-Management zu streichen, ebenso wie viele KVen bereits Tests zu diesem Zwecke abgelehnt haben. Die aktuelle Rechsprechung des BGH, dass Ärzte keine Amtsträger der Kassen sind, sei auch deshalb zu begrüßen, weil der alte Bundesmantelvertrag Kontrollfunktionen der Ärzte in den Praxen gegenüber Patienten, bin hin zum Einzug der Karte bei Verdacht auf Mißbrauch, vorsah. Dafür gibt es nun auch durch die Rechtsprechung glücklicherweise keinerlei Legitimation mehr.
Wolfgang Linder vom Grundrechtekommitte verwies darauf, dass das Projekt eGK von den Protagonisten bis hin zur völligen Vernetzung und Erstellung einer elektronischen Patientenakte weiter betrieben werde. Staatssekretär Ilka habe gesagt, dass wenn die Karte da sein, "es sukzessive zu witeren Anwendungen komme".
Aus dem SGB V ergibt sich nach Linder keine Verpflichtung für den Bürger, ein Foto für die Karte einzuschicken oder die Karte zu verwenden. Wenn der Versicherte eine Karte ohne Foto von seiner Kasse bekomme, so könne er die zurück schicken und einen Behandlungsausweis verlangen. Auch kann er von der Kasse einen rechtsmittelfähigen Bescheid verlangen, wenn diese ihn zur Fotoeinsendung auffordert, und dann widersprechen oder später klagen. Musterwidersprüche unter der Seite des "Foebud" oder des Bündnisses "Stopp die eCard".
Kathrin Vogler berichtete, dass es zur eGK kaum eine Debatte im Bundestag gegeben hat. Die entsprechenden Gesetzesänderungen die eGK betreffend seinen typischerweise als Änderungsanträge oft erst nach 2. oder 3. Lesung eingebracht werden, lange nach den öffentlichen Anhörungen. An sich sei das undemokratisch. Auch sie sieht das im Transplantationsgesetz verankerte Novum des Schreibrechts der Kassen zur Organspendebereitschaft als Dammbruch, und in dem Kontext die eGK als Teil eines potentiellen Kontrollregimes, das sich auch auf die Überwachung etwa der Compliance von Diabetikern usw. ausdehnen lasse. Bereits durch die Tasache der Speicherung solcher Daten und Erklärungen auf der Karte sieht sich der Bürger einem Druck zur Verhaltensänderung ausgesetzt. Auch sei auf politischer Ebene bereits informell "andiskutiert" worden, dass womöglich nur Derjenige Organe als Empfänger erhalte, der zumindest ein Jahr zuvor seine Spendebereitschaft erklärt habe -) Das Gesetz zur Organspende ist aus ihrer Sicht in sofern ein Beispiel für die politische bzw. gesetzliche Manipulierbarkeit des gesamten eGK-Projekts.
Hauptmessages der PK zum Prozeß aus meiner Sicht:
1. Der Bürger hat unstittig das Recht, kein Foto einzuschicken und die Karte abzulehnen.
2. Das Kommittee für Grundrechte und Demokratie fordert die "gesetzlich Krankenversicherten auf, sich der Aufforderung der Kassen, Fotos für die elektronische Gesundheitskarte einzusenden, zu widersetzen."
3. Es wird immer deutlicher, dass ein technisches Projekt etabliert werden soll, das ein bedohliches Potential für Überwachung und Kontrolle von Bürgern und Versicherten hat und das politisch manipulierbar ist.
4. Freiwilligkeit steht zwar auf dem Papier, auch des Gesetzes, ist aber nicht das Ziel maßgeblicher Protagonisten des Projekts bei Politik, Kassen und Industrie.
Mit freundlichen Grüßen,
wielanddietrich@web.de">Wieland Dietrich
Freie Ärzteschaft