Manfred Lotze wies zu Beginn der diesjährigen Nikolaustagung darauf hin, dass es sich beim Bündnis Stoppt die e-Card nicht um eine Gruppe technikfeindlicher Taliban handelt, sondern um einen Zusammenschluss von 40 Organisationen, die um das Überleben der sozialen Demokratie besorgt sind, und die zusammen mehrere Millionen Menschen vertreten.
Silke Lüder stellte in ihrem Vortrag abermals dar, dass Marketingversprechen und Realität bei eHealth Projekten weit auseinanderklaffen, und dass das bisherige, soziale Gesundheitswesen in eine überwiegend ökonomisch determinierte Gesundheitswirtschaft transformiert werden soll. Aus einer Mensch-zu-Mensch-Kommunikation wird eine Mensch-zu-Computer-Kommunikation. Frau Lüder machte ausserdem deutlich, dass die Bestrebungen, internationale medizinische Datenbanksysteme zur Verwaltung von Patientendaten aufzubauen, mit den §§7 und 8 der europäischen Berufsordnung für Ärzte frontal kollidieren.
Martin Grauduszus referierte an Stelle des erkrankten Axel Brunngraber über ein Leben zwischen Orwell und Schilda, und über unterschiedliche Positionen politischer Parteien zur "Gesundheitskarte". Die Grünen und die FDP äußerten sich zunehmend kritisch, während die große Koalition gedanklich unbeweglich bleibe und dadurch auch die veröffentlichte Meinung beeinflusse. "Meinungsmacher" in der Ministerialbürokratie, in Lobbyverbänden, und aus "Beraterfirmen" täten ihr Übriges dazu, den Meinungsbildungsprozess in Richtung zunehmender Industrialisierung der medizinischen Versorgung zu verzerren. Das sei nicht im Interesse der Bürger und müsse im kommenden Wahlkampf Thema werden.
Kai Uwe Steffens bezeichnete die "Gesundheitskarte" erneut als Technik zur medizinischen Vorratsdatenspeicherung und äußerte sich besorgt über mögliche, missbräuchliche Verwendung dieser Daten. Beispielhaft nannte er die zahlreichen Datenpannen in Großbritannien, die Gefahr des übergeordneten Datenmissbrauchs (Beispiel: Telekom), die Risiken übergesetzlicher Überwachungen, die freiwillige Datenherausgabe durch finanzielle Anreizsysteme. Schließlich können heute noch geltende Gesetze morgen schon geändert werden (Stichwort: Verwendung der Mautdaten). Privatsphäre und soziale Sicherungssysteme stünden auf dem Spiel.
Gabi Thiess äusserte sich besorgt über die Zukunft des "Gesundheitswesens", mit immer höheren Kosten bei immer geringeren Leistungen, und bei Verlust der individuellen Perspektive. Die Einteilung von Menschen in Risikoklassen diene überwiegend ökonomischen Zwecken und gefährde wegen des damit verbundenen Informationsbedarfs die ärztliche Schweigepflicht und den Schutz der Sozialdaten. Sie beschrieb die konkreten Folgen anhand einer (noch fiktiven) Patientengeschichte und kündigte an, aus dem Bundestagswahlkampf einen Gesundheitswahlkampf zu machen.
Susanne Blessing informierte über die Bestrebungen großer Krankenkassen, Gesundheitsindustrie und Patientenversorgung über Managed-Care-Modelle steuern zu wollen und dazu, unter anderem, Hausarztverträge als Alternative zu bestehenden Verorgungsmodellen abzuschließen. Dagegen bestünden erhebliche, ethische Bedenken: gegen banale finanzielle Anreize werde ein Großteil der Unabhängigkeit und der informationellen Selbstbestimmung aufgegeben. Sie bezeichnete Verhandlungsposition und Verhandlungsergebnisse von Ärzteverbänden in diesen Modellen als schlecht, und die darin integrierten elektronischen Patientenakten seien als trojanisches Pferd von Kapitalinteressen anzusehen. Der Patient verliere dadurch seine Stellung als alleiniger Herr seiner Daten, denn er verpflichte sich mit seiner Vertragsteilnahme, seine Daten beispielsweise durch eine Managementgesellschaft bis ins Detail auswerten zu lassen.
Update:
facharzt.de: eGK-Veranstaltung in Hamburg: „Den Befürwortern fehlen inzwischen die Argumente“
Der Widerstand gegen das Projekt der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) darf nicht nachlassen – darauf wies der Präsident der Freien Ärzteschaft (FÄ), Martin Grauduszus, heute in Hamburg hin. Zwar hätten sich FDP, Grüne und die Linkspartei bereits skeptisch oder ablehnend über das Telematiksystem geäußert. „Bei den Parteien der Großen Koalition stoßen wir jedoch noch auf eine Mauer des Schweigens“, bedauerte er heute auf einer Veranstaltung der Aktion „Stoppt die e-Card“ im Ärztehaus an der Humboldtstraße.