Vor knapp 20 Jahren wurde per Gesetz die elektronische Gesundheitskarte beschlossen, sie sollte zum 1.1.2006 eingeführt werden. Versprochene Ziele waren eine sektorenübergreifende Kommunikation zwischen Kliniken und Praxen, weniger angebliche „Doppeluntersuchungen“, Vermeidung von Arzneimittelnebenwirkungen, Kostenersparnis im Gesundheitswesen durch Verhinderung von „Missbrauch“ des Gesundheitswesens durch Versicherte, u.v.a. mehr.
Jetzt, 20 Jahre später ist bisher keines dieser Ziele verwirklicht worden.
20 Jahre lange wurde an dem Mammutprojekt namens „Telematikinfrastruktur“ mit dem Ziel einer "Elektronischen Patientenakte" gebastelt, jeder Gesundheitsminister hat den Kurs geändert, jedes Mal wurden lange Spezifikationen für Karte, Hardware oder Anwendungen geändert und der Industrie zur Umsetzung vorgelegt.
Viele Milliarden Versichertengelder wurden inzwischen verschwendet, eine anfängliche Schätzung ging 2008 schon von 14 Milliarden Euro aus. Jahrelange Tests in den Praxen wurden durchgeführt und sind gescheitert. Alle zwischenzeitlichen Planungen dezentraler Speicherung der sensiblen Daten AUF der Versichertenkarte wurden wieder aufgeben. Weder beim Rezept noch bei den Notfalldaten war die Durchführung so realistisch geplant, dass eine Umsetzung vor allem für die Hausärzte möglich gewesen wäre. Außerdem wurde im Laufe der Zeit immer klarer: Politik, Kassen und interessierte Datenindustrie wollten nur die zentrale Datenspeicherung. Raus aus Praxen und Kliniken, rein in zentral nutzbare Datensilos.
Inzwischen ist ein Projekt in Arbeit, bei dem alle Krankheitsdaten der gesetzlich Versicherten (später auch der Privatversicherten) zentral in großen Serverstrukturen bei IT - Firmen wie IBM und weiteren gesammelt werden sollen, unter der Verwaltung der Krankenkassen, zentralisiert gespeichert in einen sogenannten Forschungsdatenzentrum ( FDZ) als Abteilung der Behörde BfArM, also in der Hand des Staates, die dann pseudonymisiert Dritten z.B. der Pharmaindustrie oder auch als KI-Trainingsdaten zur rentablen Verfügung stellen werden.
Nachdem jahrelang gesetzlich festgelegt wurde, dass praktisch jeder Mitarbeiter jeder Institution im Gesundheitswesen auf die Daten zugreifen darf, aber nur mit einer informierten Zustimmung des Versicherten (Opt-in) kann jetzt nach einer Gesetzesänderung (Opt-out) aus dem Hause Lauterbach 2024 faktisch jeder Mitarbeiter jeder Institution alle Arztbriefe lesen, wenn der Versicherte nicht Widerspruch eingelegt hat. Selbst überwachen und „managen“ kann er seine Daten nur, wenn er sich auf schwierigsten Wegen die sogenannte ePA - APP seiner Kassen besorgt hat, was nur 2,2 Milliarden Versicherte von 74 Milliarden getan haben. 3,7 Milliarden Versicherte haben nach einer informierten Entscheidung aktiv Widerspruch gegen die Anlage dieser zentralen EPA eingelegt.
Widerstand gegen die Enteignung der Krankheitsdaten aus Zivilgesellschaft und Ärzteschaft
Seit mehr als 20 Jahren gibt es massive Kritik an dem staatlichen Mammutprojekt. Viele Jahre lang haben sich die Delegierten des Deutschen Ärztetages gegen die Zerstörung der ärztlichen Schweigepflicht und die zentrale Datenspeicherung ausgesprochen. Auf allen großen Datenschutzdemonstrationen von 2008 bis 2013 war die „e Card“ ein kritisches Thema.
Die Aktion „Stoppt die e Card“ war ab 2007 eine große bundesweite Bürgerinitiative mit guter Reichweite für kritische Informationen. Eine große Veranstaltung in Hamburg war geplant, mit anerkannten Referenten und hunderten von Besuchern, musste aber abgesagt werden, weil in Hamburg kurz vorher per Erlass wegen der Corona Pandemie alle öffentlichen Versammlungen gestoppt wurden.
Inzwischen haben sich in der Zivilgesellschaft neue Gruppen und Organisationen gebildet, die das ePA-Projekt kritisch begleiten. Viele der vorherigen Organisationen aus „Stoppt-die-e-Card“ sind inzwischen aktiv in dem Zusammenschluss „Widerspruch-epa“.
https://widerspruch-epa.de/
Diese Initiative unterstützt Patienten durch kritische Informationen bei der Einlage ihres Widerspruchs gegen die Anlage einer zentralen ePA bei ihren Krankenkassen. Viele andere Organisationen sind an der kritischen Aufklärung beteiligt. Das Bündnis
https://www.gesundheitsdaten-in-gefahr.de/
klärt über die Gefahren auf. Dr. Andreas Meißner aus diesem Bündnis hat ein wichtiges Buch zum Thema ePA geschrieben.
Ein breites Bündnis hat sich für einen offenen Brief zusammengefunden unter dem Titel: "Vertrauen lässt sich nicht verordnen"
Vertrauen lässt sich nicht verordnen - Offener Brief zur Digitalisierung des Gesundheitswesens
Die Freie Ärzteschaft arbeitet seit 2004 an dem Thema.
https://freie-aerzteschaft.de/
Die jährlichen FÄ-Kongresse, zuletzt mit dem früheren Bundesdatenschützer Prof. Kelber und dem Forschungsexperten Prof. Windeler sind wichtige Gegenpole zu den fast wöchentlich stattfindenden Industrieveranstaltungen mit den immer gleichlautenden Werbeversprechen.
Die Sicherheitsforscher Martin Tschirsich und Bianca Kastl haben beim letzten Chaos Communication Congress Dezember 2024
https://www.ccc.de/de/updates/2025/epa-transparenz
eine entscheidende Untersuchung zu offenen Sicherheitslücken in dem Telematik - Projekt veröffentlicht. Die bisherigen Tests der ePA, die im Januar 2025 begannen, und bis heute ohne irgendein sinnvolles Ergebnis geblieben sind, werden trotz offener Sicherheitslücken weiter betrieben. Diese sind teilweise schon seit Jahren bekannt und einfach ignoriert wurden. Der für Mitte Februar angekündigte bundesweite Roll-out wurde aufgrund gescheiterter Praxistests mal wieder verschoben. Eine 20-jährige Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen. Eine neue Bundesregierung hätte die Chance, wichtige Änderungen an dem letzten besonders schlechten Gesetz aus 2024 vorzunehmen. Wir werden unsere kritische Stimme weiterhin zum Thema erheben, jetzt wie immer im Kontext mit anderen Kritikern.
Dr. Silke Lüder
Fachärztin für Allgemeinmedizin, Hamburg
13.4.2025