Auf der Protestveranstaltung am 19.9.2008 in Berlin hat die Hamburger Ärztin Dr. Silke Lüder die Öffentlichkeit vor der elektronischen Gesundheitskarte gewarnt: „Wir als Ärzte und Bürger sagen: Moderne Technik ja, aber nicht so. Es geht hier nicht um Technikfeindlichkeit“, betonte die Allgemeinmedizinerin und erntete Applaus für die folgenden Ausführungen:
Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger, Kolleginnen und Kollegen hier heute in Berlin, liebe Freunde.
Wir haben uns heute getroffen, um gegen eine Gesundheitspolitik zu demonstrieren, die krank macht, die in die falsche Richtung geht, die die medizinische Versorgung und die Privatsphäre der Menschen gefährdet.
Unser Gesundheitswesen wurde in den letzten Jahren in eine Gesundheitswirtschaft verwandelt, private Kapitalgesellschaften machen aus einem Sozialwesen ein Profitfeld und in diesem Zusammenhang spielt eine kleine neue Karte eine wichtige Rolle.
Worum geht es?
Um die so genannte elektronische Gesundheitskarte, die als Ersatz für die bisherige Versichertenkarte im nächsten Jahr alle Bürger in unserem Land bekommen sollen.
Die elektronische Gesundheitskarte ist ein Prestigeobjekt unserer Regierung und der Gesundheitspolitik von Frau Schmidt, angeblich soll mit Hilfe dieser kleinen Karte unser Gesundheitswesen billiger, besser und transparenter werden.
Um gleich mal bei der Transparenz zu bleiben. Ein Lieblingswort unserer Gesundheitsministerin!
Es fragt sich bloß, was soll transparent werden, die Medizin, die Ärzte oder vielleicht auch gleich der ganze Mensch?
Mit Hilfe der neuen Gesundheitskarte sollen in Zukunft die Krankheitsdaten aller Bürger nicht mehr nur in den Arztpraxen gespeichert werden, sondern es soll ein riesiges bundesweites Computernetzwerk entstehen, mit dessen Hilfe alle Krankheitsdaten in großen Computeranlagen gespeichert werden.
Auf der kleinen Karte selbst ist nur wenig Speicherplatz, hier kann man keine ausführlichen Krankheitsdaten sammeln.
Seit 2004 wird jetzt Werbung für die neue Gesundheitskarte gemacht. Dabei wurde jahrelang so getan, als ob in Zukunft auf dem Speicherplatz dieser Computerchipkarte alle unsere Krankheitsdaten gespeichert werden würden und wir dann in Zukunft mit der Karte in der Tasche vom Hausarzt zum Facharzt oder ins Krankenhaus gehen können und dort die Ärzte dann gleich super gut informiert wären.
Der Patient könne außerdem alles ganz toll kontrollieren, er wäre sozusagen der Chef, könne die eigenen Krankheiten selbst managen und hätte selbst alle Daten in der Hand.
Nun sehen wir, hier ist jahrelang eine politische Lüge verbreitet worden!
Auf der Karte selbst können nur wenige Daten gespeichert werden!
In Wirklichkeit ist die neue Karte nur der Schlüssel zu einem riesigen bundesweiten Netzwerk , in dem die Daten verschlüsselt und in großen Computeranlagen abgelegt werden.
Dieses Vorhaben hat uns auf den Plan gerufen.
Warum sind wir gegen diese schöne neue Krankheitskarte ? Sie sieht viel schöner aus als die alte und ist mit einem bunten Foto des Versicherten versehen? Und sie soll uns retten wenn wir auf der Straße einen Unfall erleiden und überhaupt, nur mit Hilfe dieser schönen Karte können wir in Zukunft noch medizinisch versorgt werden?
Warum sind wir denn gegen eine so schöne und moderne Chipkarte?
Wir alle haben es in den Medien gelesen: Zwielichtige Unternehmen haben illegal Millionen von Bankdaten verschachert – und sich damit eine goldene Nase verdient.
Zurück bleiben die geprellten Verbraucher, die nun ihre vermeintlich sicheren Daten in Händen sehen, in die sie nie gelangen sollten.
Kontonummer, Bankleitzahl. Schlimm genug, wenn diese Daten in unbefugte Hände geraten.
Doch was, wenn dies auf einmal mit Krankendaten geschähe? Was, wenn auf einmal halbseidene Firmen wüssten: Herr X hat Krebs, Frau Meyer AIDS, der kleine Peter psychische Probleme?
Aller Versicherungen zum Trotz:
Diese Gefahr besteht. Gefördert durch ein Projekt, das uns allen als die bahn brechende Revolution im Gesundheitswesen verkauft wird: Die elektronische Gesundheitskarte.
Die Schalmeienklänge von den Milliarden-Einsparungen, die die Karte bringen soll, glauben nicht mal mehr die Naivsten. Der Grund für das Projekt ist ein ganz anderer:
Die E- Card kommt, weil es die Gesundheitswirtschaft so will.
Die Gesundheitswirtschaft freut sich schon heute auf die „kommerziellen Mehrwertanwendungen“:
Datenverkauf, Auswertungen für Pharmaindustrie, Medizintechnik und Co.
Die e- Card kommt außerdem, weil die Krankenkassen unter dem Druck der Politik aus dem Hause Schmidt stehen und versuchen müssen, immer mehr an besonders kranken Menschen zu sparen! Hier wird versucht, immer mehr zentralisiert zu kontrollieren. Hier wurden jetzt schon Daten an amerikanische Callcenter Firmen weitergegeben . Hier werden Menschen immer mehr nach Krankheiten katalogisiert. Auch dafür braucht man die Daten!
In unserer Ministerien herrscht der zentralisierte Kontrollwahn!
Einige offizielle Datenschützer stellen der Gesundheitskarte immer das beste Sicherheitszeugnis aus. Aber die gleichen Datenschützer sagen, sie seien auch jetzt schon als staatliche Aufsicht völlig damit überfordert, was jetzt schon im Bereich des Gesundheitswesens passiert.
So ist es! Offizielle Datenschützer konnten auch nicht verhindern, dass die Daten von Diabetes Patienten vor 3 Jahren von der deutschen Datenstelle einfach zur Auswertung nach Vietnam weitergegeben wurden!
Doch damit nicht genug. Es braucht wenig Fantasie, um sich auszumalen, dass nicht schon bald sensible Krankendaten mit Bank- oder Kreditdaten zusammengeführt werden. „Unmöglich, Hirngespinste“??? Wer das sagt, möge sich selbst folgende Frage beantworten:
Wenn von jedem gesetzlich Versicherten auch die sensibelsten Krankendaten einmal zentral auf Computern zusammengeführt sind: Wer garantiert uns, dass nicht durch einfache Gesetzesänderungen auf einmal Menschen oder Unternehmen Zugang dazu erhalten, von denen früher nie die Rede war?
Ganz zu schweigen von illegalen Zugriffen – wie eben jüngst mit Daten aus den zentralen Melderegistern geschehen. Von denen hätte auch niemand gedacht, dass sie je die Amtsstuben der Meldebehörden überhaupt je verließen.
Patientendaten liegen heute dezentral in den Arztpraxen und wecken so nicht die Begehrlichkeiten wie es ein Datenberg im Internet täte. Das vertrauensvolle Arzt-Patientenverhältnis ist immer noch der beste Schutz gegen die Offenlegung der Daten Dritten gegenüber gewesen.
Wir als Ärzte und Bürger sagen: Moderne Technik ja, aber nicht so. Es geht hier nicht um Technikfeindlichkeit.
Wir wehren uns nur gegen ein System, das uns von Anfang an von oben aufgezwungen wird – und das an unserem vertrauensvollen Patientenverhältnis genauso nagt, wie es praxisfern und untauglich ist. Die bisherigen Praxistests der Gesundheitskarte waren eine einzige Serie von Pleiten, Pech und Pannen und mussten schon zum großen Teil abgebrochen werden!
Der Deutsche Ärztetag als Parlament aller deutschen Ärzte 2008 hat das Projekt in der bisherigen Form mit großer Mehrheit abgelehnt. Es ist frustrierend zu sehen, dass es einzelne Ärzte-Funktionäre gibt, die trotzdem als Lobbyisten dieses Projektes auftreten. Das aber ändert an der breiten Ablehnung durch die Ärztebasis und zunehmend immer mehr Patientenverbänden und Bürgerrechtsgruppen nichts.
Die Aktion „ Stoppt die e- Card“ ist eine Bürgerrechtsbewegung aus inzwischen 36 Verbänden und Organisationen.
Die Deutsche AIDS Hilfe, der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, der Chaos Computerclub , die Deutsche Gesellschaft für Versicherte und Patienten sind genauso beteiligt wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Patientinnenstellen, die Freie Ärzteschaft, die Ärzteorganisation IPPNW, der NAV Virchowbund und verschiedene große Zahnarztverbände.
Bis heute sind
400 000 Unterschriften gegen das E- Card- Projekt bei uns eingegangen.
Gesammelt in Arztpraxen, Apotheken, Selbsthilfegruppen, Bürgerrechtsverbänden und Patienteninformationsstellen.
Unser Ziel ist Aufklärung!
Aufklärung über dieses unsinnige, teure und gefährliche Projekt, bei dem die Versicherten Milliarden investieren müssen um eine Datenhaltung zu finanzieren, die das Gesundheitswesen praktisch belasten, die Kommunikation verschlechtern und einen Datenberg finanzieren wird, den man nie wieder rückgängig machen kann!
Aus diesem Grund sagen wir Stopp! Die demokratische Öffentlichkeit muss aufgeklärt werden, die Politik muss auf die massive und berechtigte Kritik reagieren und diesen Plan aufgeben!
Moderne Technik ja, aber ohne gläserne Patienten und gläserne Ärzte!
Gesundheit ist keine Ware, Kranke sind keine Kunden, und das geschützte Arzt Patienten- Verhältnis und die Schweigepflicht müssen verteidigt werden!
Es gibt den Eid des Hippokrates seit 2000 Jahren, und wir müssen in diesem Jahrhundert darum kämpfen, dass er nicht aufgegeben wird.
Vielen Dank!
Dr. med. Silke Lüder, Allgemeinärztin in Hamburg, Sprecherin der Aktion „Stoppt die e- Card“
"Moderne Technik ja, aber nicht so" vollständig lesen »