Von 11 Uhr ab hatten Teilnehmer des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung eine öffentliche Versammlung zum Themenkreis "Bürgerrechte statt Sicherheitsstaat" abgehalten.
Eine professionelle Bühne mit Schauwänden auf der Promeniermeile am Rhein liessen etliche Passanten aufmerksam werden. Junge Leute verteilten mit Angehörigen der mittleren Generation Flyer, die viele Flaneure und auch internationales (japanisches) Shopping-Publikum in Gespräche verwickelte.
Mit Ansprachen wie "Haben Sie zu Hause oder am Arbeitsplatz auch einen Computer?" und "Wissen Sie, was demnächst mit Ihrer Krankenversicherungskarte passiert?" liess sich auch das Altstadt-Publikum beim kühlen Alt und Public Viewing der deutschen Fußballmannschaft zwanglos in interessante Stammtischgespräche bringen.
"Populismen zum Thema Überwachung richtig gestellt" des AK-Vorrat half den aufklärenden Teilnehmern der öffentlichen Veranstaltung, mit Substanz vom leichten Samstags-Small Talk in nachdenkliche Gespräche zu treten.
Samstag, 31. Mai 2008
Düsseldorf 31.5.2008
Aufgrund des dieselnden Rhein-Wetters fanden sich anfangs wenige Zuhörer, die zudem durch den unterstützenden Grünen Ortsverband etwas abgelenkt wurden. Orga-Leiter Frank Herrmann -sehr engagiert- stand für jede Frage von beobachteten Flaneuren und Aktivisten zur Verfügung.
Presse-Ansprechpartner Detlef Krusekopf konnte gegenüber dem ZDF-Kamerateam verdeutlichen, dass sich hier vor Ort Bürger trafen, die öffentlich vorgetragene Argumente für immer mehr überwachung hinterfragen wollten. Nicht zuletzt wurde der Telekom-Skandal der letzten Tage heftig diskutiert.
Um 14 Uhr hielt Herr Wieland Dietrich von der Freien Ärzteschaft ein fulminantes, sachkenntliches Referat auf öffentlicher Bühne, so dass sich in Kürze mehr als 100 Zuhörer aus dem Laufpublikum fanden, die stehen blieben und mit Einkaufstaschen oder Foto-Apparaten in der Hand bzw dem Partner am Arm interessiert zuhörten.
Eine symbolische T-Shirt-Überreichung an den Veranstalter von der FÄ durch Herrn Dietrich fand rege Aufmerksamkeit, so dass dieses später der Verkaufs-Spenden-Schlager schlechthin auf dem Markt wurde.
Der Vortrag der FÄ weckte viel Gemurmel, Beifall, Zustimmung und Entsetzen über die inhaltlichen Aspekte, die sich mit der elektronsichen Umgestaltung des Gesundheitswesen abzuzeichnen scheinen. Der Funke sprang über.
Herr Dietrich konnte in seiner sachlich-engagierten Weise verständlich machen, dass die FÄ jeden Bürger als Patienten und Bürger sehr ernst nimmt und ihre Selbstbestimmungsrechte durch das IT-projekt bedroht sieht. Erstaunt-ärgerlich-überrascht schienen viele Zuhörer sich angesprochen zu fühlen, so dass sich nach dem Vortrag eine lebhafte Diskussion zwischen Referent und Publikum entwickelte.
Auf Fragen hin konnten Antworten überzeugen, welche Interessen an Steuerung und Verwertung sich hinter der eCard befinden.
Was man denn selbst gegen die Entwicklung zu immer mehr Lenkung und Fremdbestimmung durch die eCard tun könnte, fragten zunehmend selbst die Aktivisten des AK-Vorrat, die sich mit Aufklärungsmaterialien zur Multiplikation eindeckten.
Massnahmen wie Informationsbeschaffung bei stoppt-die-e-card, durchblick-gesundheit,patient-informiert-sich, wurden aufgezeigt.
Einfache Willensbekundung wie Ablehnung des Karten-Umtausch demnächst wurden empfohlen.
Das eCard-Thema konnte durch die FÄ in Düsseldorf sehr gut transportiert werden. Die Aufnahmebereitschaft bei dem alle Bürger betreffenden Problemfeld war greifbar. Ein Hausarzt konnte auf die bisher efolglosen Bemühungen eines Testarztes aus Bochum hinweisen. Ungläubige Gesichter bei der Bemerkung, dass man demnächst als Patient unsterblich werde durch die eigene elektronische Gesundheitskarte, (namentliche) Medikamentenverknüpfung sowie kommerzielle Firmen-Server-gestütze Patientenakten, da eine Vorratsdatenspeicherung praktisch unbegrenzt haltbar sei, wenn Medieninhalte technisch kompatibel transformierbar seien.
Herr Florian Gutmann brachte als Nichtmediziner weitere interessante Aspekte wie mögliche Konsequenzen durch zukünftige Großanbieter wie Google und Microsoft, die in die Patientenakte einsteigen wollen.
Bedenkenswert war sein Einwurf zur Gefährdung der Schlüssel-Kopien. Jede eCard besitze zwangsläufig zur Wiederherstellung bei Verlust eine Kopie bzw einen Schlüssel zum Serverzugang. Ganze Hacker-Gemeinden würden sich deshalb auf diesen neuralgischen Dreh-und Angelpunkt des technisch veralteten IT-Projektes konzentrieren.
Wer nämlich sich den Zugang zu den Schlüssel-Kopien verschaffe, könne dann ohne viel Aufwand über erhebliche Mengen an kommerzeill verwertbaren Gesundheitsdaten der Bürger verfügen. Nicht nur die Schnittsstelle Mensch-Technik sei hier durch die Anfälligkeit von ersterem hochproblematisch (verwaltende Schlüssel-Administratoren-Korruption liesse sich nicht gänzlich ausschliessen).
Herr Gutmann brachte ein weiteres schwerwiegendes Argument auf den Teller, womit Frau Groß nach ihrem massiv eCard-freundlichen Verhalten auf dem ÄT in Ulm sich gelegentlich einmal nicht nur als Psychotherapeutin beschäftigen sollte:
Die etwaige kriminelle Energie Einzelner könne sozusagen als "Das Raubtier in jedem von uns" dahin führen, dass man schon jetzt technisch gesehen bewusst Speicher-Daten fälschen könne:
(Unbemerkt) elektronisch hinzu- oder weggenommene, ausgetauschte, verfremdete oder sonstwie manipulierte Daten auf / in den Speichermedien könnten zu medizinischen Entscheidungen führen, die Ärzte zu Opfern von fremd-beabsichtigten, selbst ungewollten Fehleinschätzungen machen können, wenn nach falschen Anweisungen aufgrund gefälschter Datenlagen sich fatale Patientenkomplikationen ergäben.
Herr Gutmann zog damit den Vertrauenswert elektronischer Daten für Patienten erheblich in Frage.
Die öffentlich propagierte Beschleunigung von Entscheidungsprozessen müsste seiner Meinung nach deshalb mindestens mit einem Garantieverlust von medizinischer Entscheidungs-Qualität einhergehen, was bewusst zu machen sei.
Großer Beifall des Publikum für die Veranstalter des AK-Vorrat und der FÄ-Beteiligung für ihre bürger-nahe, anschauliche Vermittlung eines sperrigen Thema´s, so dass anschliessend selbst der Grünen-Ortsverbandsvorsitzende den Referenten ansprach auf Möglichkeiten für eine zukünftige innerparteiliche Meinungsbildung.
Viele Zuhörer spürten, dass es auch auf sie selbst im einzelnen ankomme.
Das Watch-Men-Plakat der FÄ hatte sich derweil in den Köpfen von Zuschauern und Zuhörern festgesetzt, gab allerdings ehrenhalber im abschliessend einsetzenden Dauer-Regen einer sich verflüchtigenden friedlichen Veranstaltung ohne Polizei-Einsatz seine Konsistenz auf.
Fazit:
Gute Kontakte der FÄ zur Bürgerbewegung und zwanglose Kommunikations-Formen mit unpolitischen Zeitgenossen unterstützen die demokratische Auseinandersetzung um ein hoch-sensibles Thema.
Die Politik wird nicht ohne weiteres Düsseldorfer Bürger zum Kartenumtausch bringen können.
Übrigens: Das internationale, englisch-sprechende Publikum aus Japan fragte in Gesprächen , was denn hier im Lande mit den deutschen Politikern los sei. Ob die Japanisch zu ihren Wählern sprechen würden.
Claas Hüttenrauch
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