Elektronische Gesundheitskarte: Von VPN-Konnektoren, Lesegeräten und fehlenden Vorteilen

Was steckt wirklich hinter der Attacke der bayerischen Kassen-Funktionäre und anderer Experten?

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Verwirrung um die elektronische Gesundheitskarte

(Bild: Gematik)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Detlef Borchers
  • Dusan Zivadinovic
Inhaltsverzeichnis

Am vergangenen Sonntag meldeten Süddeutsche Zeitung, heise Online und Golem unisono, dass die elektronische Gesundheitskarte (eGK) vor dem Aus stehe. Es existierten Pläne, nach denen die nächste Bundesregierung, die noch gewählt werden muss, das Aus für das IT-Projekt beschließen wird, hieß es da. Auf diese Attacke bayerischer Medizin-Funktionäre reagierte Bundesgesundheitsminister Gröhe umgehend mit einem Dementi. Schließlich führt der CDU-Politiker derzeit einen Gesundheits-Wahlkampf und verteidigt seine Politik (und sein Ministeramt), die Einführung der eGK zu beschleunigen. Derweil reißen kuriose Meldungen um die Gesundheitskarte nicht ab. Vor allem die ärztliche Fachpresse stiftet Verwirrung, ganz im Sinne der bayerischen Funktionäre.

Fangen wir mit dem Grundwissen an: Die elektronische Gesundheitskarte ist eine kontaktbasierte Chipkarte für alle Versicherten, die in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung eingeschrieben sind. Der Chip auf der Karte enthält einige Fächer, in denen derzeit nur wenige Daten offen gespeichert sind: Name, Anschrift und Versichertenstatus der Versicherten. Diese Angaben werden in der Arztpraxis oder im Krankenhaus mit einem Lesegerät ausgelesen. Damit Ärzte und andere Leistungserbringer des deutschen Gesundheitswesens Daten in weitere Fächer der Gesundheitskarte verschlüsselt schreiben können, müssen sie sich neue Technik und einen elektronischen Heilberufeausweis zulegen. Diese neue Technik besteht im Wesentlichen aus einem zugelassenen VPN-Konnektor, der in das Management-System einer Praxis oder eines Krankenhauses eingebunden werden muss und die Verbindung mit der telematischen Infrastruktur des Gesundheitswesens besorgt, die seit vier Jahren im Aufbau ist.

Nach den Vorgaben von Gröhes e-Health-Gesetz müsste dies bis zum Juli 2018 erfolgen. Weil jedoch derzeit nur ein VPN-Konnektor von der Firma KoCo Connector die teure Zulassung bei der Projektgesellschaft Gematik bekommen sowie die Zertifizierung vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik durchlaufen hat, ist das Zeitfenster bis zum 31. Dezember 2018 erweitert worden.

Ärzte, die bis dahin die Hardware anschaffen und die Software anpassen lassen, erhalten Kosten-Pauschalen dafür. Für den Konnektor gibt es beispielsweise 2620 Euro. Dieser Betrag vermindert sich pro Quartal um 10 Prozent, wenn der Arzt den Konnektor nach dem Zeitfenster anschafft. Zwei weitere Konnektoren sollen bereit sein, wenn es daran geht, rund 200.000 Praxen von Ärzten, Zahnärzten und Psychotherapeuten anzubinden. Dazu kommen 20.000 Krankenhäuser, die mehrere Konnektoren brauchen und 21.000 Apotheken.

Damit der Markt die Preise austariert, wartet die Gesundheitsszene auf die Konnektoren von T-Systems und von der österreichischen Firma "Research Industrial Systems Engineering" (RISE). Letztere wurde eilig von der Gematik beauftragt, auch einen Konnektor zu bauen und zertifizieren zu lassen, damit "Marktvielfalt" herrsche. Aktuell ist das nämlich nicht der Fall: Lediglich von der CompuGroup wird der KoCo Connector den Ärzten angeboten, und zwar für 3650 Euro inklusive Geräte-Installation und Anpassung der Software CompGroup Medical.

Wir sehen: die elektronische Gesundheitskarte ist eine teure, rein deutsche Lösung, sie war niemals, wie behauptet, ein Exportschlager. Es geht aktuell um die Konnektoren und nicht um die Lesegeräte, die viele Praxen und Krankenhäuser zusätzlich anschaffen müssen, damit der Workflow stimmt: Bis jetzt haben die Praxen ein Lesegerät am Empfang. Wird das Schreiben auf der Karte scharf geschaltet, braucht der Arzt in jedem Behandlungszimmer ein (Schreib)-Lesegerät. 350 Euro bekommt er für ein Exemplar erstattet, der Rest ist seine Sache.

Wir gehen weiter: In den Apotheken sollen Infoterminals stehen, damit Patienten die Kartendaten einsehen können, denn die Karte ist kontaktbehaftet. Nichts ist's mit schnieker NFC-Kommunikation, wie sie etwa mit dem "neuen" Personalausweis möglich ist. Wer fordert, dass die Versicherten selbst ihre eGK auslesen können sollen, vergisst, dass für Tablet und Smartphone spezielle Kartenleser mit Bluetooth oder WLAN-Modul erforderlich sind. Beispielsweise kostet der Cyberjack Wave von RainerSCT ab rund 100 Euro aufwärts. Gerätchen, die zum Beispiel im Restaurant an den Tisch kommen, wenn die Rechnung mit Karte bezahlt wird, haben nun mal ihren Preis.

Dennoch hat der Einwand des NRW-Gesundheitsministers Laumann (CDU) seine Berechtigung: Was haben eigentlich die Versicherten von der eGK? Derzeit: absolut nichts. Und in naher Zukunft: auch nichts. Das System rentiert sich derzeit allein für die gesetzlichen Krankenkassen, die beim Umzug eines Versicherten die Daten mit dem bald freigeschalteten Versicherten-Stammdatendienst online auf der Karte umschreiben können und damit keine neue Karte drucken müssen. Das kostet bei kleinen Krankenkassen bis zu 3,50 Euro pro Karte.

In fernerer Zukunft könnte der Versicherte davon profitieren, wenn die derzeit auf Papier zu druckende Medikamentenliste auch auf der Karte gespeichert ist und die Liste Hinweise zur elektronischen Patientenakte (EPA) enthält, etwa wer sie pflegt und wo sie gespeichert ist.

Die nach den Vorgaben des eHealth-Gesetzes im Jahre 2019 zu realisierende EPA ist die Königsdisziplin und der eigentliche Grund für die "Nachrichten vom Aus der Gesundheitskarte": Kassen können die EPA anbieten und so auslegen, dass ein Wechsel der Versicherten erschwert wird. Den ersten Schritt hat hier die Techniker Krankenkasse gemacht.

Das wiederum könnte dazu führen, dass sich Ärzte mit einer Vielzahl von EPA-Systemen beschäftigen müssen – Kostenlawine, ick hör dir trapsen. Hinter dem Gegrummel um das Aus der elektronischen Gesundheitskarte taucht darum der Anspruch der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) auf, eine Koordinierungsrolle bei der Patientenakte zu übernehmen. Um die Deutungshoheit bei dieser Datensammlung wird noch mancher Strauß gefochten werden. (dz)