Stichtag 1.1.2015: Wie geht es weiter mit der Elektronischen Gesundheitskarte?

Der Beschluss der Krankenkassen-Verbände die Elektronischen Gesundheitskarte zum 1.1.2015 bindend einzuführen setzt Versicherte unter Druck und verunsichert Ärztinnen und Ärzte. Dieser Beschluss ist aber nicht bindend! Gleichzeitig gibt es viele rechtliche und technische Probleme mit dem Projekt. Wir geben eine Übersicht.

Seit 2006 wird versucht die Elektronische Gesundheitskarte (eGK) verpflichtend einzuführen. Ein wichtiger Grundstein für die eGK war das „GKV-Modernisierungsgesetz“, für das die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt im Jahr 2004 einen BigBrotherAward erhielt, weil dieses Gesetz eine massive Verschlechterung des Datenschutzes für Patientinnen und Patienten bedeutete. Bis heute ist die vollständige Umsetzung des milliardenschweren eGK-Projekts immer wieder an technischen und datenschutzrechtlichen Problemen und am Widerstand von Patientinnen, Ärzten und Juristinnen gescheitert. Die privaten Krankenkassen sind aus dem Projekt seit 2010 ausgestiegen, was nicht heisst, dass privat Versicherte nicht auch bald die eGK vorgeschrieben bekommen.

Ist die Elektronische Gesundheitskarte ab 1.1.2015 Pflicht?

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) behauptet unter anderem mit ihrem „Praxisplakat der KBV“, dass zum neuen Jahr nur noch die eGK gültig sei. Dabei sagt selbst die Bundesregierung, dass das nicht stimme.
Kathrin Vogler (Bundestagsabgeordnete, Die Linke) hat von der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage Antwort erhalten und schreibt in ihrem Blog: „Wer der elektronischen Gesundheitskarte skeptisch gegenüber steht, kann sich auch im nächsten Jahr ärztlich behandeln lassen, ohne gleich eine Privatrechnung zu riskieren. Anstelle einer eCard reicht nämlich ein Nachweis über den Leistungsanspruch von der Krankenkasse, auf Papier, per Brief oder Fax an die Arztpraxis.“ Die Antwort der Bundesregierung auf die schriftliche Frage von Kathrin Vogler ist online als PDF nachlesbar.
Die Aussage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) „Ab 1. Januar gilt ausschließlich die elektronische Gesundheitskarte (eGK)“ ist durch die Bundesregierung widerlegt. Der Versicherungsschutz hängt nicht von der eGK ab, sondern von gezahlten Versicherungs-Beiträgen und von den notwendigen Angaben nach § 15 SGB V.

Warum üben Krankenkassen und Verbände soviel Druck aus?

Das Projekt ist sowohl technisch, rechtlich, als auch inhaltlich fragwürdig und noch dazu unverhältnismäßig teuer. Darum kann es nur durch Druck auf gesetzlich krankenversicherte Menschen umgesetzt werden. Arztpraxen werden mit Geld gelockt, um an Testläufen des eGK-Projekts teilzunehmen. Mit der eGK und der angeschlossenen Telematischen Infrastruktur sollen Daten erhoben und ausgewertet werden, um die medizinische Versorgung weiter zu „rationalisieren“. Entwickelt wird die Telematische Infrastruktur unter anderem von der Bertelsmann-Tochter Arvato Systems. Letztendlich geht es um einen Umbau des Gesundheitssystems, in dem medizinische Daten mit Gewinnabsichten erhoben, nachverfolgt und verarbeitet werden. Mit der Telematischen Infrastruktur kann sehr viel Geld verdient werden, während die Kosten durch Steuergelder finanziert werden. Sowohl Ärztinnen, als auch Patienten verlieren durch die Vernetzung noch mehr von ihrer ohnehin angegriffenen Privatsphäre und Selbstständigkeit.

Wo gibt es Informationen über das eGK-Projekt?

Es gibt mehrere Initiativen, die kritisch über das eGK-Projekt informieren:

Das Foto auf der Elektronischen Gesundheitskarte

Das Foto ist nicht das Kernproblem des eGK-Projeks. Nach §291 SGB V ist es „spätestens bis zum 1. Januar 2006“ vorgeschrieben, dennoch gibt es Krankenkassen, die auf Anfrage eGK ohne Foto ausstellen. [Aktualisierung vom 05.01.2014: Ergänzung von Foto als vorgeschrieben] Äztinnen haben keine Befugnis die Identität von Patienten zu überprüfen, in dem sie etwa einen Personalausweis verlangen.

Für die Abgabe eines Fotos gelten folgenden Ausnahmen

  • Kinder unter 15 Jahren
  • Personen bei denen die Erstellung eines Fotos nicht möglich ist
  • Personen, die sich aus religiösen Gründen nicht fotografieren lassen wollen

Funktionen und Probleme der eGK

Problematische Aspekte der eGK

  • die Erhebung und Vernetzung von medizinischen Daten durch Zusatzfunktionen der eGK
  • die daraus resultierende Macht derer, die Zugriff auf diese Daten haben
  • die aus den Anwendungen der eGK resultierende Kommerzialisierung des Gesundheitssystems
  • der Verlust von Privatsphäre und Selbstständigkeit von Ärzten und ihren Patienten
  • erweiterte Funktionen der eGK, die eine medizinische Überwachung von Patienten ermöglicht
  • die lebenslange persönliche Identifikationsnummer auf der eGK (Eine derartige Registrierung von Menschen ist, wie die Verfolgung von Minderheiten und religösen Gruppen in Gegenwart und Vergangenheit zeigt, äußerst gefährlich.)
  • die unnötigen horenden Kosten, die an anderen Stellen im Gesundheitssystem eingespart werden müssen

Verpflichtende Funktionen

  • ein Bild der versicherten Person auf der Vorderseite
  • Name, Anschrift, Geburtsdatum, Geschlecht, und Versichertennummer
  • der europäische Krankenversicherungsnachweis auf der Rückseite
  • das Online-Stammdatenmanagement (Wurden Ihre Stammdaten bisher ausschließlich in der Arztpraxis eingelesen, werden sie nun online mit der Krankenkasse abgeglichen.)
  • Teilnahme an Disease‐Management‐Programmen
  • Zuzahlungsstatus (geschützt nach Sozialdatenschutz)
  • lebenslange persönliche Identifikationsnummer

Freiwillige und gleichzeitig besonders kritische Funktionen
Die zentrale Speicherung von Patientendaten ist freiwillig und muss von Versicherten nicht genutzt werden. Das von Gesundheitsminister Gröhe angekündigte E-Health-Gesetz wird die Etablierung dieser Anwendungen weiter vorantreiben. Einen kritischen Kommentar zum E-Health-Gesetz haben die Zahnärzte für Niedersachsen veröffentlicht. Freiwillige Funktionen der eGK könnten in Zukunft, wie die Karte selbst, durch Druck zwangseingeführt werden:

  • Daten für die Notfallversorgung (Notfalldaten)
  • Elektronischer Arztbrief (eArztbrief)
  • Daten zur Prüfung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS)
  • Elektronische Patientenakte (ePatientenakte)
  • Elektronisches Patientenfach
  • Elektronische Patientenquittung
  • Erklärung zur Organspendebereitschaft
  • weitere Anwendungen, die medizinische Daten von Patient.innen auswerten

Wie können Sie sich verhalten?

  • Sie können Ihre alte Krankenversichertenkarte solange nutzen, solange diese gültig ist. Detlef Borchers schreibt für heise: „Im deutschen Gesundheitssystem gibt es die "sonstigen Kostenträger" wie etwa die Bundeswehr oder die Bundespolizei, die nach wie vor mit der alten KVK arbeiten. Die Liste der "sonstigen Kostenträger" ist je nach Bundesland unterschiedlich lang (...) und zeigt, dass die alten Karten noch lange nicht obsolet sind. Sie müssen weiter ausgelesen werden können.“
  • Sie oder Ihre Arztpraxis können mit einem Anruf oder Fax bei Ihrer Krankenkasse einen schriftlichen Versicherungsnachweis anfordern. (Im Notfall: Mit einer Einstweiligen Verfügung können Sie erwirken, dass Ihnen eine Versicherungsbescheinigungen zum Zwecke seiner Behandlung ausgestellt werden muss.)
  • Sie können zu einer Krankenkasse wechseln, die Verständis für Datenschutz und Selbstbestimmung hat. Kontaktieren Sie Krankenkassen.
  • Mit einer Datenschutzverfügung für Patientinnen und Patienten können Sie ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wahrnehmen und der geplanten Speicherung von Gesundheitsdaten in zentralen Großcomputern widersprechen
  • Es ist möglich die eGK mit dem Privatrechnungsverfahren zu umgehen, das ist allerdings umständlich und teuer.
  • Sie können an die Öffentlichkeit gehen und Initiativen und die Presse über Ihren Fall informieren.
  • Neben einer Datenschutzverfügung können Sie schriftlich protestieren und Ihrer Krankenkasse mitteilen, aus welchen Gründen Sie mit dem eGK-Projekt nicht einverstanden sind.
  • Informieren Sie Ihre Mitmenschen, ihre Ärzte und Apotheker über die eGK.

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